Aufsichtsperson Ruth Giersch steht vor einem Auto und blättert in Unterlagen.

Unterwegs im Auftrag der BGW BGW magazin - 2/2022

Ein Schreiben der BGW kündigt den Besuch einer Aufsichtsperson an. Warum das kein Grund zur Panik ist, erzählt Ruth Giersch im Interview. Sie stellt die Ab­läufe einer Betriebsbesichtigung vor.

Seit 2016 ist Ruth Giersch als Aufsichtsperson der BGW im Nordwesten Schleswig-Holsteins unterwegs. Wie alle Aufsichtspersonen hat sie die – in der Regel zwei­jährige – Vorbereitungszeit absolviert und eine Prüfung abgelegt. Sie arbeitet für die Bezirksstelle Hamburg.

Meine Motivation ist, Lösungen aufzuzeigen, die rechtssicher sind. In 99 Prozent der Fälle höre ich bei der Verabschiedung, dass der Besuch aus Sicht der Teilnehmenden ein Erfolg war und weitergeholfen hat.

Aufsichtsperson Ruth Giersch steht vor einem Auto und blättert in Unterlagen.
Ruth Giersch, BGW, Bezirksstelle Hamburg
Aufsichtsperson

Was macht eine Aufsichtsperson?

Ich komme als Arbeitsschutzexpertin der gesetzlichen Unfallversicherung zu den Betrieben. Die Tätigkeit von Aufsichtspersonen besteht vor allem in der Beratung und Überwachung der versicherten Unternehmen. Dabei geht es uns um sichere und gesunderhaltende Arbeitsplätze, die Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, aber auch Gesundheitsgefahren vermeiden. Wir sehen uns vor Ort um, sprechen mit den Verantwortlichen. Eine Betriebsbesichtigung mit Beratungsgespräch dauert in der Regel etwa eineinhalb Stunden. Wenn wir uns dabei in Ruhe über die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit austauschen können, ist das für beide Seiten gut investierte Zeit.

Was erwartet die Betriebe bei Ihrem Besuch?

Zu einer Betriebsbesichtigung gehören Gespräche mit allen Beteiligten. (Das Foto entstand, bevor die Corona-Pandemie zusätzliche Schutzmaßnahmen erforderlich machte.)

Ich habe mich normalerweise schriftlich angemeldet. Die frühzeitige Terminplanung und eine stressfreie Gesprächsatmosphäre kommen allen zugute. Den Kreis der Teilnehmenden im Betrieb halten wir momentan so klein wie möglich, das ist Corona geschuldet. Vor allem muss die Person dabei sein, die für den Arbeitsschutz verantwortlich ist. Meist ist das der Unternehmer oder die Unternehmerin, sofern sie diese Pflicht nicht delegiert haben. Ich freue mich, wenn die Fachkraft für Arbeits­sicherheit hinzukommt – genauso wie der Betriebs­arzt oder die Betriebsärztin und jemand aus dem Kreis der Sicherheitsbeauftragten. Die betriebliche Interessenvertretung muss über unseren Besuch informiert werden – es hilft, wenn auch sie dabei ist. In diesem Kreis lassen sich in der Regel alle Fragen beantworten.

Um welche Themen geht es?

Das ist stark von der jeweiligen Branche geprägt. Im Vor­gespräch gehen wir auf die Arbeitsschutzorganisation des Unternehmens ein und schauen in die Gefährdungsbeurteilungen: Welche Gefährdungen wurden identi­fi­ziert und welche Maßnahmen wurden bereits erarbeitet? Wirken sie auch so wie gedacht? Dann machen wir einen Rundgang, den wir anschließend gemeinsam auswerten. Ich bereite mich auf jede Betriebsbesichtigung gut vor und spreche typische Gefährdungen an. In der Alten­pfle­ge geht es zum Beispiel um Ergonomie beim Bewegen von Menschen, um Hautschutz, psychische Belastungen oder Infektionskrankheiten. Dazu stelle ich passende Angebote der BGW vor, wie das Rückenkolleg oder unsere Seminare für Personen mit beruflich bedingten Haut­er­krankungen. Wichtig ist mir, dass genug Raum für Fragen aus dem Betrieb bleibt. Wo drückt der Schuh? Manchmal frage ich auch direkt, womit sich die letzten Sitzungen des Arbeitsschutzausschusses beschäftigt haben.

Es gibt aber auch konkrete Anlässe für Ihren Besuch …

Vier Augen sehen mehr als zwei: Gibt es beim Hautschutz noch Luft nach oben? (Das Foto entstand, bevor die Corona-Pandemie zusätzliche Schutzmaßnahmen erforderlich machte.)

Ja, unter anderem Auffälligkeiten beim Berufskrankheitengeschehen. Wenn ich beispielsweise sehe, dass mehrfach Hauterkrankungen im Betrieb auftraten, melde ich mich an und wir werfen einen Blick auf den Hautschutzplan. Auch das Unfallgeschehen kann Anlass für einen Besuch sein. Kürzlich fielen mir drei oder vier Unfallanzeigen einer Einrichtung auf, bei denen jemand vor dem Kühlhaus gestürzt war. Ich bin hingefahren und da war eine große Stufe vor dem Eingang. Wer schwer bepackt und womöglich rückwärts herauskam, hat die vielleicht vergessen oder übersehen. Der Unternehmer und die Fachkraft für Arbeitssicherheit hatten aber bereits eine Lösung gefunden: Ein Podest aus Beton vor dieser Stufe sorgt nun dafür, dass es hoffentlich nicht zu weiteren Arbeitsunfällen kommt.

Muss man sich Sorgen machen, wenn die BGW-Aufsichtsperson sich ankündigt?

Ein gemeinsamer Rundgang durch den Betrieb deckt manchmal Mängel auf. (Das Foto entstand, bevor die Corona-Pandemie zusätzliche Schutzmaßnahmen erforderlich machte.)

Ganz und gar nicht. Wenn ich spüre, dass die Leute mir gegenüber recht angespannt sind, schildere ich nochmal den Ablauf. Selbst wenn bei der Betriebsbesichtigung Mängel auffallen, besprechen wir diese und setzen realistische Ziele, bis wann sie behoben werden können. Am Ende heißt es oft: „Die kleinen Probleme sind uns vorher gar nicht aufgefallen, man wird ja betriebsblind.“ Es ist in der Tat so, dass Außenstehende manches besser erkennen. Meine Motivation ist, Lösungen aufzuzeigen, die rechtssicher sind. In 99 Prozent der Fälle höre ich bei der Verabschiedung, dass der Besuch aus Sicht der Teilnehmenden ein Erfolg war und weitergeholfen hat. Viele fragen auch, ob sie mich anrufen können, wenn sie ein Problem haben. Natürlich dürfen sie das!

Was bewegt die Betriebe im Moment, mal abgesehen von der Pandemie?

Das größte Problem ist der Fachkräftemangel. Ich ver­suche, deutlich zu machen, dass die Instrumente und Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheit im Betrieb auch dazu beitragen, Fachkräfte zu halten oder neu von sich zu überzeugen. Das wird oft nicht zusammen­gebracht, dabei ist es ein wichtiger Baustein für die Personalstrategie und spricht sich herum. Ein großes Thema ist auch die psychische Belastung. Das vorhandene Personal muss ja die Lücken auffangen. Dabei sind die Verantwortlichen, die Leitungen und Führungs­kräfte, selbst oft sehr erschöpft. Manche wollen sich aber nicht eingestehen, dass auch sie an ihre Grenzen stoßen. Ich bringe Tipps und Angebote mit, die für neue Perspektiven sorgen können – zum Beispiel ein Coaching der BGW.

Wird der Arbeitsschutz durch die Corona-Pandemie anders wahrgenommen?

Auf jeden Fall. Dem Thema wird ein viel höherer Stellenwert zugemessen als zuvor. So werden auch die Corona-Arbeitsschutzstandards der BGW von den Betrieben sehr ernsthaft umgesetzt. Manchmal fehlte aber zunächst Know-how. Wir haben zu Beginn der Pandemie sehr viel telefoniert – jetzt können wir mit den nötigen Sicherheitsvorkehrungen wieder vor Ort sein. Die Unternehmen haben festgestellt, dass zum Beispiel eine Gefährdungsbeurteilung nicht kompliziert ist, sondern sich mit gesundem Menschenverstand gut durchführen lässt. Wichtig ist nur, das auch zu dokumentieren. In immer mehr Unternehmen ist das zur Selbstverständlichkeit geworden. Was sich dort ebenfalls verbessert hat, ist die Kommunikation mit den Akteurinnen und Akteuren im Arbeitsschutz – wie der Fachkraft für Arbeitssicherheit oder der Betriebsärztin, dem Betriebsarzt. Aus nachvollziehbaren Gründen konnten sie in der Pandemie nicht immer in den Betrieb kommen. Dann gab es Telefonate und Videokonferenzen zu Themen wie Hygiene oder psychischer Belastung. Ich bin überhaupt sehr beeindruckt davon, wie viel die Unternehmen auch in schwierigen Zeiten leisten – pragmatisch und kreativ.

Was passiert, wenn ein Betrieb den Hinweisen der Aufsichtsperson nicht folgt?

Es gibt sehr viele, die wollen und können etwas ändern. Um die muss ich mich nicht groß kümmern. Einige wollen auch, können aber nicht – aus ganz verschiedenen Gründen. Hier bin ich gefordert, unterstütze mit den Angeboten der BGW und begleite bei Bedarf engmaschig die Umsetzungsschritte. Es gibt aber auch solche, wenn auch wenige, die nicht wollen. Im Rahmen unseres Überwachungsauftrags können wir Anordnungen erlassen. Gegebenenfalls ist ein Buß- oder Zwangsgeld festzusetzen, bis es hoffentlich zur Einsicht kommt, dass rechtliche Vorgaben einzuhalten sind. Bei Erstbesuchen stoße ich auch auf Betriebe, in denen zwar irgendwie der Arbeitsschutz mitgedacht wird, es aber noch an Systematik fehlt. Dann verweise ich zum Beispiel auf Materialien oder Seminare der BGW.

Was bringt Betriebe weiter?

Zu einer guten Präventionskultur gehören unter anderem gute Führung, die Beteiligung der Mitarbeitenden und gute Kommunikation. So entsteht auch ein Klima des Austausches, ohne gegenseitiges Misstrauen. Das wiederum ist eine wichtige Basis für eine gute Fehlerkultur. Man sollte offen sagen können: „Mensch, beinahe wäre etwas passiert! Das kann nicht so bleiben.“ Es ist Prävention in reinster Form, Probleme zu wittern, bevor sie zum Problem werden – und etwas dagegen zu tun. Wenn Betriebe einen Ansatzpunkt suchen, empfehle ich unsere BGW-Strategietage. Da holen wir die Beteiligten an einen Tisch, damit sie eine Standortbestimmung zu bestimmten Themen vornehmen, Ziele setzen und die nächsten Schritte festlegen können.

Hör-Tipp: Wer wissen will, welche Erfahrungen Ruth Giersch mit der Arbeitswelt 2021 gemacht hat, kann eine Podcast-Folge zum Jahresrückblick mit ihr anhören. 

Von: Anja Hanssen