Hand in einem Reinigungshandschuh wischt mit einem Tuch über eine Fläche.

Reinigung und Desinfektion: Achtung, Aldehyde! BGW magazin - 1/2023

Wir wollen doch, dass es wirkt! Mit diesem Ge­danken setzen Betriebe oftmals aldehyd­haltige Mittel für die Reinigung und Desinfektion ein. Sie sind jedoch gesund­heitlich bedenklich – und in vielen Fällen gar nicht nötig.

Reinigung und Desinfektion sind im Gesundheitsdienst oft nicht leicht zu trennen. Bei der Reinigung geht es darum, Verunreinigungen zu entfernen. Bei der Desinfektion ist das Ziel, eine Infektionsgefährdung auszuschließen. Dazu wird – anders als bei der Reinigung – die Anzahl vermehrungsfähiger Mikroorganismen durch Abtötung oder Inaktivierung reduziert.

Bei Betriebsbesuchen stoßen BGW-Aufsichtspersonen immer wieder auf Reinigungs- und Desinfektionsmittel, die Aldehyde enthalten – dazu zählen Formaldehyd, Glutaraldehyd (auch: Glutaral) und Glyoxal. Neben ihrer nachgewiesenen desinfizierenden Wirkung können Aldehyde jedoch die Gesundheit der Beschäftigten beeinträchtigen, die mit ihnen umgehen.

Eine Auswertung des Bereichs "Gefahrstoffe und Toxikologie" der BGW hat ergeben, dass rund 40 Prozent der im Untersuchungszeitraum (2010–2019) entschiedenen Fälle zum Vorliegen bestimmter Berufskrankheiten (BK 4301, 4302 und 5101) auf Desinfektionstätigkeiten zurückzuführen waren. So können Aldehyde in den eingesetzten Mitteln unter anderem zu obstruktiven Atemwegserkrankungen führen, die durch allergisierende Stoffe (BK 4301) beziehungsweise durch chemisch-irritative oder toxisch wirkende Stoffe (BK 4302) ausgelöst werden. Es kann auch zu schweren oder wiederholt rückfälligen Hauterkrankungen kommen (BK 5101).

Kennzeichnung beachten

Auf solche Gefährdungen weist die Kennzeichnung und Einstufung nach dem global harmonisierten System (GHS) für Chemikalien hin (siehe Tabelle im Folgenden). Formaldehyd hat beispielsweise krebserzeugende, das heißt karzinogene Eigenschaften.

Tabelle: GHS-Kennzeichnung und Einstufung der negativen Eigenschaften von Aldehyden in Desinfektionsmitteln (bezogen auf eine Lösung mit einem Wirkstoffgehalt von 1-5% / 1-3% / 1-10%)

Das global harmonisierte System (GHS) zur Kennzeichnung von Chemikalien beinhaltet unter anderem Gefahrenhinweise zur Art der Gefährdung (H-Sätze) und eine Einstufung in Gefahrenkategorien bei besonderer Schwere der Gefährdung (am höchsten: Kat. 1)

Kennzeichung - H-Sätze

Einstufung Formaldehyd

Einstufung Glutaraldehyd

Einstufung Glyoxal

Sensiblisierung der Haut (H317)

Kat. 1

Kat. 1

Kat. 1A

Sensiblisierung der Atemwege (H334)

-

Kat. 1

-

Keimzellmutagenität (H341)

Kat. 2

-

Kat. 2

Karzinogenität (H350)

Kat. 1B

-

-

Bei Glyoxal und Formaldehyd besteht zudem der Verdacht auf erbgutverändernde, das heißt keimzellmutagene Eigenschaften. Die individuelle Gefährdung hängt insbesondere davon ab, wie intensiv der Kontakt ist. Bei der inhalativen Exposition – also dem Kontakt über die Atemwege – spielen unter anderem folgende Aspekte eine Rolle:

  • das Anwendungsverfahren
  • die physikalischen Eigenschaften der Inhaltsstoffe
  • die Größe der zu desinfizierenden Fläche
  • die Konzentration der Anwendungslösung
  • die Lüftung des Raumes
  • die Expositionszeit
  • die Position der Beschäftigten zur Fläche, die desinfiziert wird

Unabhängig vom Desinfektionsverfahren ist die Aerosolbildung zu vermeiden.

Die dermale – also: Haut- – Exposition wird von der Konzentration der Lösung, der benetzten Hautfläche und der Kontaktzeit beeinflusst.

Dreh- und Angelpunkt: die Gefährdungsbeurteilung

Wie können Betriebe vorgehen, um bei der Reinigung und Desinfektion Gesundheitsrisiken für die Beschäftigten zu minimieren?

Ob aldehydhaltige Desinfektionsmittel eingesetzt werden, lässt sich schon am Gefahrensymbol abschätzen (GHS08 Gesundheitsgefahr), anschließend schafft ein Blick auf die Inhaltsstoffe Klarheit. Ist bekannt, warum diese Mittel angeschafft und verwendet werden? War es nur eine Empfehlung der Lieferfirma oder hat sich jemand bewusst dafür entschieden?

Das Kernstück der Prävention bildet die Gefährdungs­beurteilung, die auch zu dokumentieren ist. Sie muss fachkundig nach Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) erfolgen, gegebenenfalls sind Arbeitsschutz-Fachleute beratend hinzuzu­ziehen, zum Beispiel die Fachkraft für Arbeitssicherheit oder der Betriebsarzt beziehungsweise die Betriebsärztin. Dabei gilt: Ein Desinfektionsmittel soll nicht nur ungefährlich sein, sondern muss auch die erforderliche Wirksamkeit erfüllen.

Bei der Informationsermittlung ist zunächst zu klären, welche Desinfektionsmittel überhaupt benötigt werden und wann andere Mittel als die derzeit eingesetzten infrage kommen. Die Zuständigen für Arbeitsschutz und Hygiene sollten deshalb in jedem Fall zusammenarbeiten. Auch die Sicherheitsdatenblätter der Herstellungsfirmen sind zu beachten.

Wenn möglich: ersetzen

Unverzichtbar – und Vorgabe der GefStoffV – ist die Substitutionsprüfung. Das Ersetzen gefährlicher Stoffe hat Vorrang, wenn dadurch die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten weniger gefährdet wird. Eine Hilfe zur Entscheidung, ob die Substitution gesundheitlich und physikalisch-chemisch geeignet ist, liefert die Technische Regel für Gefahrstoffe TRGS 600.

In einigen Fällen ist gemäß TRGS 410 ein Expositionsverzeichnis erforderlich. Insbesondere dann, wenn die Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden oder keimzellmutagenen Gefahrstoffen der Kategorie 1A oder 1B eine Gefährdung der Gesundheit oder der Sicherheit der Beschäftigten ergibt und es sich somit nicht nur um eine geringe Gefährdung handelt. Das Verzeichnis ist 40 Jahre aufzubewahren. Es enthält unter anderem Angaben zum Zeitraum der Tätigkeiten, zu den jeweiligen Gefahrstoffen und zur Höhe der Exposition.

Bei wiederholtem Kontakt der Mitarbeitenden mit einem krebserzeugenden oder keimzellmutagenen Gefahrstoff der Kategorie 1A oder 1B ist eine arbeitsmedizinische Vorsorge anzubieten.

Lösungsansatz: alle Seiten einbeziehen

Warum kommen aldehydhaltige Desinfektionsmittel immer noch regelmäßig in Mitgliedsbetrieben der BGW zum Einsatz, obwohl andere Beispiele zeigen, dass der Verzicht möglich wäre? Oft ist das der Fall, wenn Einkaufsabteilungen, Hygiene-Stellen oder gar Herstellungsfirmen die Auswahl der Mittel maßgeblich beeinflussen. Dagegen werden zu selten die Fachkraft für Arbeitssicherheit oder die Betriebsärztin beziehungsweise der Betriebsarzt eingebunden.

Ziel sollte es sein, ein wirksames und sicheres Mittel auszuwählen – dazu müssen Hygiene- und Arbeitsschutzfachleute zusammenarbeiten.

Das sagt der BGW-Experte

Dr. Eberhard Munz ist als Aufsichts­person viel in Mitgliedsbetrieben der BGW unterwegs.

Ich höre oft: ‚Ich will alles richtig machen und desinfiziere lieber zu viel als zu wenig.‘ Auch wenn hinter solchen Aussagen eine gute Motivation steckt, fehlt dabei der ganzheitliche Blick auf die Gesundheit der Mitarbeitenden. Aufklärung ist wichtig. In großen Einrichtungen sollte beispielsweise der Austausch zwischen Gremien wie Arbeitsschutzausschuss und Hygienekommission sichergestellt werden.

Ich treffe aber auch viele positive Beispiele an, also Einrichtungen, die ihre Produkte ausgetauscht haben und nun im betrieblichen Alltag komplett auf Aldehyde verzichten: eine Entscheidung für mehr Sicherheit und Gesundheit für die Mitarbeitenden. Sie zeigen, dass es geht.

Ratschläge des Experten

  1. Klären Sie, ob überhaupt eine Desinfektion nötig ist – oder nur eine Reinigung.
  2. Machen Sie das Thema im Betrieb bekannt. Stellen Sie sicher, dass die handelnden Personen über entsprechende Kenntnisse verfügen.
  3. Prüfen Sie die Substitution, also den Austausch gegen weniger gefährdende Produkte. Lassen Sie sich dazu beraten.
  4. Binden Sie die Fachkraft für Arbeits­sicherheit und die Betriebsärztin, den Betriebsarzt in die Auswahl von Desinfektionsmitteln ein.


Aussagen aus Betrieben vs. Faktencheck

Aussagen aus Betrieben

Faktencheck

Bei 4MRGN (vierfach gramnegative multiresistente Erreger) müssen wir Aldehyde einsetzen, etwas anderes wirkt nicht ausreichend.

Fakt: Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun: 4MRGN-Erreger sind gramnegative Bakterien, die eine vierfache Antibiotika-Resistenz besitzen. Eine Resistenz gegen Desinfektionsmittel ist dagegen bei korrekt durchgeführten Flächendesinfektionen noch nicht beobachtet worden.

In unserem Haus haben wir trotz Einzelzimmern immer wieder Übertragungsfälle multiresistenter Erreger.

Fakt: Oberflächen wie Fußböden und Wände spielen bei Übertragungen eine untergeordnete Rolle. Der Fokus der Desinfektion sollte auf häufigen Hand- und Hautkontaktflächen liegen. Dazu zählen vor allem die Türklinken.

Bei Häufungen von multiresistenten Erregern müssen auch nicht sachgemäß durchgeführte Desinfektionsverfahren sowie zu niedrig konzentrierte oder unwirksame Desinfektionsmittel-Lösungen, die in verunreinigten Behältnissen vorbereitet oder gelagert wurden, als Infektionsquelle in Betracht gezogen werden.

Aldehydhaltige Mittel sind deutlich günstiger im Einkauf.

Fakt: Eine normale Reinigung von Flächen ohne häufigen Hand- oder Hautkontakt – zum Beispiel Fußböden oder Wände – ist einer Desinfektion vorzuziehen. Die Kostenersparnis kann in Desinfektionsmittel investiert werden, die der Gesundheit der Mitarbeitenden weniger schaden.

In der RKI-Liste sind fast nur aldehydhaltige Mittel gelistet.

Fakt: Die beim RKI gelisteten Desinfektionsmittel kommen bei behördlich angeordneten Entseuchungen nach Infektionsschutzgesetz zum Einsatz. Für Routine-Desinfektionen eignen sich Verfahren aus den Listen des Verbands für Angewandte Hygiene (VAH) und des Industrieverbands Hygiene und Oberflächenschutz (IHO).

Gut zu wissen: TRGS

Die Technischen Regeln für Gefahr­stoffe (TRGS) konkreti­sieren die GefStoffV und geben den Stand der Technik, Arbeits­medizin und Arbeitshygiene sowie gesicherte arbeitswissen­schaftliche Erkenntnisse für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen wieder.

Eine besondere Relevanz haben im Bereich der Desinfektionsmittel die TRGS der 400er-Reihe "Gefährdungsbeurteilung" (u. a. TRGS 400, 401, 402, 406, 410), der 500er-Reihe "Schutzmaßnahmen" (u. a. TRGS 510, 525), der 600er-Reihe "Substitution" und der 900er-Reihe "Arbeitsplatzgrenzwerte".

Von: Dr. Eberhard Munz und Dr. Lea Anhäuser