Wenn Grenzen überschritten werden: Schutz vor sexualisierter Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz Highlights: BGW-Podcast "Herzschlag - Für ein gesundes Berufsleben"
Sexualisierte Gewalt und Belästigung sind keine Seltenheit. Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ gibt an, dass mehr als zwei Drittel aller Frauen bereits einmal an ihrem Arbeitsplatz von Kollegen/Kolleginnen oder Vorgesetzten sexuell belästigt wurden. Aber wo fangen sexualisierte Gewalt und Belästigung eigentlich an? Wie kann ich mich und mein Umfeld präventiv schützen und an welche Anlaufstellen wende ich mich im Ernstfall?
Es ist wichtig aufzuklären! Deshalb haben wir euch heute eine unserer ersten Podcast-Folgen von „Herzschlag – Für ein gesundes Berufsleben“ mitgebracht, die aktueller ist denn je. In dieser Episode spricht Moderator Ralf Podszus mit Claudia Vaupel und Doktor Heike Schambortski von der BGW über die Definition, Prävention und Reaktion im Kontext sexuelle Belästigung und Gewalt.
Hier kommen Sie zum Transkript dieser Folge
Moderator:
Ihr seid auf dem Heimweg. Nach der Arbeit sitzt ihr in der Bahn und möchtet einfach nur abschalten. Beim nächsten Halt steigt eine Person ein, setzt sich euch gegenüber und starrt euch die ganze Zeit aufdringlich an. Ihr versucht, die Blicke zu meiden, und fühlt euch unwohl in der Situation. Wisst ihr doch nicht, wie ihr der Situation jetzt entfliehen könnt. Ihr fühlt euch ausgeliefert, ja sogar hilflos. Stellt euch vor, genau dieses Ausgeliefertsein und diese Hilflosigkeit müsst ihr jeden Tag an eurem Arbeitsplatz ertragen, an genau dem Ort, an dem ihr extrem viel Zeit verbringt. Mehr als zwei Drittel aller Frauen wurden bereits einmal an ihrem Arbeitsplatz sexuell belästigt – von Patientinnen oder Patienten, Kolleginnen oder Kollegen oder Vorgesetzten. Natürlich sind auch viele Männer von sexualisierter Gewalt am Arbeitsplatz betroffen. Nachlesen könnt ihr das in der Studie, die in den Podcast-Show-Notes verlinkt ist. Sexualisierte Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz sind keine Seltenheit und keine bloße Statistik. Dahinter stehen Menschen, Kolleginnen und Kollegen, Freunde, Verwandte, vielleicht sogar ihr selbst. Das Thema betrifft nicht nur Einzelpersonen, sondern schafft toxische Arbeitsumgebungen, untergräbt das Vertrauen im Team und hinterlässt Spuren, die weit über die berufliche Ebene hinausgehen. Deshalb wollen wir eine unserer ersten Folgen dieses Podcasts noch einmal ins Bewusstsein rufen, nämlich Folge acht, in der ich mit zwei Expertinnen darüber gesprochen habe, was genau alles unter sexualisierter Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz verstanden wird, wie man dieses Thema präventiv angeht und welche Hilfemöglichkeiten es gibt. Wundert euch nicht, damals, vor ein paar Jahren, wurde in der Folge von sexueller Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz gesprochen. Inzwischen wurde das Wording angepasst und geändert in sexualisierte Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz.
Jingle:
Herzschlag! Für ein gesundes Berufsleben, der BGW-Podcast.
Moderator:
Auch Beschäftigte in Pflege- und Betreuungsberufen sind gefährdet, bei der Arbeit sexuell belästigt zu werden. Die Belästigungen gehen sehr häufig von Menschen aus, die durch die Beschäftigten betreut oder versorgt werden. Was das genau bedeutet und welche Art der sexuellen Gewalt die Beschäftigten bei der Arbeit erleben, das war bislang noch nicht erforscht. Die BGW hatte deshalb zusammen mit der Uni Hamburg eine Studie in Auftrag gegeben, die das herausfinden sollte. Und jetzt gibt es erste Ergebnisse. Über die spreche ich mit meinen beiden Gästen Claudia Vaupel und
Dr. Heike Schambortski. Schön, dass ihr heute dabei seid. Hallo!
Claudia Vaupel:
Hallo!
Dr. Heike Schambortski:
Ja, hallo, auch von meiner Seite.
Moderator:
Claudia Vaupel, Sie sind Psychotraumatologin bei der BGW. Wir haben bereits in einer vorhergegangenen Folge darüber gesprochen, welche Folgen Gewalt und Aggression am Arbeitsplatz haben. Sexualisierte Gewalt ist eine besondere Art von Gewalt am Arbeitsplatz. Was genau ist sexualisierte Gewalt und was macht sie aus?
Claudia Vaupel:
Ja, sexuelle Belästigung und Gewalt sind jedes unerwünschte sexualisierte Verhalten, und zentral ist, dass es die Würde von Beschäftigten verletzt. Das umfasst zum Beispiel unerwünschte Handlungen, Äußerungen und Gesten, die einen sexuellen Charakter tragen und von den Betroffenen als einschüchternd, anstößig, beschämend, erniedrigend oder auch bedrohlich empfunden werden.
Moderator:
Sexuelle Belästigung und Gewalt sind ein weit umfassendes Themengebiet. Um es besser verständlich zu machen, wird grob zwischen drei unterschiedlichen Dimensionen unterschieden. Können Sie diese benennen?
Claudia Vaupel:
Ja, das ist richtig. Also, wir unterscheiden zwischen nonverbaler, verbaler und körperlicher sexueller Belästigung und Gewalt. Beispiele für verbale sexuelle Belästigung sind Bemerkungen sexuellen Inhalts. Das ist typischerweise das Erzählen von anzüglichen Witzen oder Anspielungen. Nonverbale sexuelle Gewalt sind Gesten oder Mimik mit sexuellem Bezug. Beispiele können das Zeigen von pornografischen Bildern oder das Entblößen von Körperteilen sein, zum Beispiel gegenüber einer Pflegekraft. Dann gibt es noch die körperliche Gewalt, und die reicht von ungewolltem Betatschen, Streicheln und Küssen bis hin zu tatsächlich massiven sexuellen körperlichen Übergriffen reicht.
Moderator:
Sie begleiten die Studie der BGW und Universität Hamburg. Ziel war es herauszufinden, unter anderem, welche Art der sexuellen Gewalt Beschäftigte erleiden. Was ist jetzt dabei rausgekommen?
Claudia Vaupel:
Ja, wir sind im Moment noch in der Auswertephase. Genauere Ergebnisse erwarten wir dann im Herbst. Aber was ich schon mal verraten kann, ist, dass wir uns sehr gefreut haben, dass 900 Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen sich die Zeit genommen haben und unsere Studienfragen beantwortet haben. Und es zeigt jetzt schon, dass alle drei Arten von sexueller Belästigung und Gewalt über alle Branchen auftreten. Die Branchen, die wir untersucht haben, sind allgemeine Krankenhäuser, Rehabilitationskliniken, psychiatrische Krankenhäuser, Einrichtungen der Behindertenhilfe und Werkstätten sowie stationäre und ambulante Altenpflege.
Moderator:
Die Folgen dieser sexuellen Gewalt am Arbeitsplatz sind auf keinen Fall zu unterschätzen. Was haben Sie dabei herausgefunden?
Claudia Vaupel:
Also grundsätzlich sind die Folgen von sexueller Belästigung und Gewalt viel gravierender als andere psychische Belastungen. Das hängt einfach damit zusammen, dass diese Erfahrung sehr viel von der Intimsphäre verletzt, und das ist in aller Regel mit starken Schamgefühlen verbunden. Und vielleicht, wenn Sie sich selbst mal geschämt haben, da weiß man, wie unangenehm dieses Gefühl ist. Das führt häufig dazu, dass man eher nicht darüber spricht und sich auch nicht öffnen kann. Und das würden die Betroffenen nur tun, wenn ein großes Vertrauensverhältnis besteht. Grundsätzlich zusammengefasst kann man sagen, es können alle möglichen Symptome auftreten, bis hin zu einer ernsthaft behandlungsbedürftigen Störung wie der posttraumatischen Belastungsstörung. Und um auch hier noch einmal auf unsere Studie zu kommen: Wir hatten eine Vorstudie, die ganz klar zeigt, dass es Zusammenhänge zwischen sexueller Belästigung und diversen Gesundheitsproblemen gibt, also zum Beispiel negative Zusammenhänge mit emotionaler Erschöpfung, Depressivität, aber auch psychosomatischen Störungen wie Schlafstörungen. Diese Zusammenhänge zeigen sich nicht nur bei körperlicher sexueller Gewalt, was man vielleicht denken würde, sondern eben auch schon bei niedrigschwelliger, also nonverbaler und verbaler sexueller Belästigung.
Moderator:
Viel zu lange haben Frauen und Männer über sexuelle Belästigung und Gewalt geschwiegen. Das wurde in den vergangenen Jahren ziemlich deutlich, da das Thema im Internet einen Namen bekam: #MeToo. Frauen und auch Männer haben sich unter diesem Hashtag im Internet zu Wort gemeldet und offen und ehrlich über ihre Erfahrungen berichtet. Dr. Heike Schambortski, Sie sind Präventionsexpertin bei der BGW. Welche Bedeutung hat die MeToo-Debatte für Beschäftigte?
Dr. Heike Schambortski:
Ja, sie hat eine große Bedeutung, weil es immer gut und wichtig ist, dass öffentlich über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gesprochen wird. Die MeToo-Debatte hat dazu beigetragen, dass das Thema enttabuisiert wird. Es ist noch nicht komplett enttabuisiert, aber es ist auf einem guten Weg, und das senkt die Schwelle für Betroffene, im eigenen Arbeitsumfeld darüber zu sprechen. Wenn Menschen das Gefühl bekommen, sie sind nicht die einzige Person, die das betrifft, dann hilft das zu erkennen, dass es auch nicht das persönliche Versagen war, das zu einem Vorfall oder einem Übergriff geführt hat, sondern dass es etwas ist, was vielen Menschen passiert. Diese Erkenntnis ist wichtig, um die Bereitschaft zu erhöhen, darüber zu sprechen und sich dagegen zur Wehr zu setzen.
Moderator:
Die Prävention spielt eine sehr wichtige Rolle beim Thema der sexuellen Belästigung und Gewalt. Normalerweise lernen wir, dass wir bei drohender oder aufkeimender Gewalt und Aggression deeskalieren sollen, also die Situation beruhigen. Wenn es um sexuelle Gewalt geht, sagen Sie jedoch, es sei besser, die Situation zu eskalieren. Warum eskalieren?
Dr. Heike Schambortski:
Ja, das hört sich vielleicht erst einmal paradox an, hat aber einen ganz realen Grund. Normalerweise entsteht Gewalt und Aggression im Arbeitsalltag dadurch, dass Konflikte eskalieren. Sexuelle Belästigung jedoch hat andere Ursachen. Hier geht es häufig um Machtgefühle und die Demonstration männlicher Dominanz, und es ist deshalb wichtig, dem Belästiger klarzumachen, dass er hier eine Grenze überschritten hat. Je klarer und eindeutiger das passiert, umso größer ist die Chance, dass er damit aufhört. Bei einer Deeskalation von Gewaltsituationen ist es hilfreich, sich in andere Personen hineinzuversetzen. Bei normalen Konflikten ist es immer gut, sich zu fragen, warum der andere sich gerade so aufregt, und wenn ich das verstehe, kann ich das gut deeskalieren. Bei sexueller Belästigung ist es jedoch häufig so, dass Frauen sich sowieso viel zu viele Gedanken darüber machen, warum der Belästiger das gerade mit ihnen macht und ob sie ihrem unguten Gefühl auch trauen dürfen. Sie setzen sich also viel zu sehr in andere Personen hinein, und deshalb ist es gut, an der Stelle zu eskalieren und ganz klar zu sagen: Das möchte ich jetzt nicht, das gefällt mir nicht.
Moderator:
Und dafür haben Sie auch einen Tipp, das Drei-Schritte-Modell. Wie genau funktioniert das?
Dr. Heike Schambortski:
Die Grundidee des Drei-Schritte-Modells ist, die Schwelle für eine eindeutige und klare Zurechtweisung des Belästigers zu senken. Man ist in so einer Situation ja in der Regel überrascht und irritiert. Frau Vaupel hat auch angesprochen, wie beschämend und erniedrigend das ist. Ich bin also in einer psychischen Ausnahmesituation, da kann ich nicht besonders schlagfertig sein, und deshalb ist es hilfreich, sich solche Sätze schon im Vorfeld zurechtzulegen und das möglichst auch zu trainieren. Schritt 1 ist deshalb, einfach zu benennen, was der Belästiger gerade getan oder gesagt hat, zum Beispiel: 'Sie haben Ihre Hand auf meinen Oberschenkel gelegt.' Schritt 2 besteht dann darin, deutlich zu machen, was das bei den Betroffenen auslöst, zum Beispiel: 'Das ist mir unangenehm.' Im dritten Schritt mache ich dann klar, was ich möchte, zum Beispiel: 'Nehmen Sie Ihre Hand sofort da weg und unterlassen Sie das in Zukunft.' Das ist eine einfache Abfolge, der ich mich sehr gut leiten lassen kann, auch durch das, was passiert. Ich muss nicht schlagfertig sein, ich muss mir keine großen Gedanken machen, wie ich das jetzt genau ausdrücke. Das macht es einfacher, den Belästiger darauf hinzuweisen. Ich empfehle darüber hinaus, mit dem Belästiger nicht darüber zu diskutieren, ob meine Gefühle richtig sind. Da würde ich immer empfehlen, Diskussionen zu vermeiden und nicht darauf einzugehen, wie der Belästiger das gemeint hat.
Moderator:
Prävention darf nicht nur von den Beschäftigten ausgehen, auch die Betriebe müssen dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschützt werden. Wie kann das denn nach Ihrer Erfahrung am besten funktionieren? Was gibt es da noch für Tipps von Ihrer Seite?
Dr. Heike Schambortski:
Ja, es ist erst einmal ganz wichtig, auch zu betonen, dass es zu den gesetzlich verankerten Pflichten des Arbeitgebers gehört, für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten am Arbeitsplatz zu sorgen. Dazu gehört auch, was vielen nicht klar ist, der Schutz vor sexueller Belästigung. Grundlage dafür ist immer eine betriebliche Gefährdungsbeurteilung, aus der der Arbeitgeber Maßnahmen ableiten muss. Maßnahmen könnten dann zum Beispiel in Bezug auf die Gefährdung durch sexuelle Belästigung sein, dass neutrale Ansprechpersonen im Betrieb installiert werden, an die sich die Betroffenen wenden können, dass Schulungen für Vorgesetzte und Beschäftigte durchgeführt werden oder dass Leitlinien, Hausordnungen und Klauseln formuliert werden, die es ermöglichen, gegen Belästiger vorzugehen. Wenn es zum Beispiel Kunden oder Patienten sind, kann man auch Verträge kündigen. Für den Umgang mit innerbetrieblichen Tätern, die es ja auch gibt – das können Kollegen oder Vorgesetzte sein – ist es hilfreich, Betriebsvereinbarungen mit den Betriebsräten abzuschließen, weil es in diesen Fällen auch um die Beendigung von Arbeitsverhältnissen gehen kann.
Moderator:
Dabei ist es dann auch besonders wichtig, dass Arbeitgebende und Beschäftigte gemeinsam über das Thema sprechen und auch definieren, was ein harmloser Scherz und was sexuelle Belästigung ist. Und dabei können dann Leitlinien und ein transparenter Umgang im Betrieb mit dem Thema sexuelle Gewalt helfen. Frau Dr. Schambortski, wenn es trotzdem passiert, darf nicht darüber geschwiegen werden. Sowohl das Opfer als auch die Betriebe sollten sofort reagieren. Welche Sofortmaßnahmen können Sie da konkret empfehlen?
Dr. Heike Schambortski:
Ja, wie die Sofortmaßnahmen aussehen können, hängt natürlich sehr von der konkreten Situation ab. Handelt es sich um einen gewalttätigen Übergriff, zum Beispiel um eine Vergewaltigung oder eine sexualisierte Beleidigung? Liegen körperliche Verletzungen vor? Wer ist der Belästiger? Gibt es Zeugen? Wenn ein Kunde belästigt und Kolleginnen und Kollegen das vielleicht auch mitbekommen haben, dann kann sofort ein Hausverbot ausgesprochen werden. Dafür braucht es natürlich eine transparente Leitschnur, die es den Beschäftigten ermöglicht, das durchzusetzen. Wenn es sich zum Beispiel um eine betreute Person handelt, die sich aufgrund ihrer Erkrankung distanzlos und übergriffig verhält, dann sind unter Umständen andere Maßnahmen angezeigt. Ich empfehle den Betroffenen, sich immer möglichst schnell und direkt nach dem Vorfall an eine Vertrauensperson zu wenden und genau zu schildern, was passiert ist, weil das für eine spätere Beweisaufnahme von Bedeutung ist. Bei körperlichen Übergriffen mit Verletzungen ist es wichtig, schnell eine Ärztin oder einen Arzt aufzusuchen, um diese zu behandeln und auch zu dokumentieren. Die betroffene Person entscheidet natürlich letztlich selbst, ob sie einen Vorfall zur Anzeige bringen möchte. Es kann auch gute persönliche Gründe geben, das nicht zu tun. Aber es ist wünschenswert, dass Übergriffe häufiger angezeigt werden, weil das dazu beiträgt, dass es in die Öffentlichkeit gerät und enttabuisiert wird. Für die Betroffenen selbst ist es häufig eine entlastende Situation, weil sie merken, dass es ernst genommen wird.
Moderator:
Wir hatten vorhin schon kurz über die Folgen von sexueller Gewalt gesprochen, und das können zum Beispiel Depressionen oder auch andere schlimme psychische Erkrankungen sein. Frau Dr. Schambortski, in einer Studie, an der Sie beteiligt waren, ging es um die Bewältigungsstrategien von Frauen gegenüber sexueller Belästigung. Eine wichtige Erkenntnis war, dass Frauen sich oft nicht wehren, wenn es ein Gruppenklima gibt, in dem sexuelle Belästigung als selbstverständlich hingenommen wird. Oft entwickeln die betroffenen Frauen dann Bewältigungsstrategien wie: 'Ich muss lernen, das auszuhalten, weil er nur mich stört.'
Dr. Heike Schambortski:
Ja, in dieser Interviewstudie, in der wir verschiedene Frauen aus unterschiedlichsten Berufen, von der Polizistin bis zur Landschaftsgärtnerin, in mehrstündigen Interviews befragt haben, interessierte uns vor allen Dingen, warum sich so wenige Frauen gegen sexuelle Belästigung zur Wehr setzen. Dabei wurde deutlich, dass die Frauen den Fehler häufig bei sich suchen und dann versuchen, sich der Situation anzupassen oder die Situation zu verlassen. Anpassen kann zum Beispiel heißen, dass sie versuchen, die Belästigung zu ignorieren, wegzuhören, so zu tun, als ob sie nichts merken. Anpassung führt aber manchmal auch zu scheinbar paradoxen Reaktionen, nämlich über sexistische Witze zu lachen, um keine Schwäche zu zeigen. Es gab auch Frauen, die aufgrund des Arbeitsklimas, das durch sexuelle Belästigung geprägt war, gekündigt haben, um der Situation zu entkommen, weil sie es einfach nicht mehr ausgehalten haben. Es gab nur wenige Beispiele von Frauen, die gesagt haben: 'Ich habe das offen gemacht, ich habe mich gewehrt, ich habe das angesprochen.' Das zeigte uns, wie wichtig die Arbeitskultur für die Prävention von sexueller Belästigung ist. Da liegt eine große Verantwortung bei den Führungskräften, zum Beispiel auch selbst direkt gegen abwertende oder belästigende Sprüche oder Witze einzuschreiten und deutlich zu machen, dass das nicht geduldet wird und dass das nicht zum Klima der Einrichtung, des Teams oder des Arbeitsbereiches passt.
Moderator:
Auch Männer werden Opfer sexueller Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz. Wie reagieren Männer darauf, und was sind die Folgen?
Dr. Heike Schambortski:
Ja, auch Männer werden belästigt, aber sie werden in der Regel durch andere Männer belästigt. Das ergibt zumindest die Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Wie Männer darauf speziell reagieren, ist noch wenig erforscht. Es gerät jetzt ein bisschen mehr in den Fokus, dass sie auch eine betroffene Gruppe sind. Wir haben ja in der Vorstudie, die Frau Vaupel auch schon erwähnt hat, zur Erprobung eines Fragebogens zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz Hinweise bekommen, dass Männer teilweise sogar stärkere Symptome psychischer Fehlbelastungen entwickeln, wenn sie sexuell belästigt wurden als Frauen, also Stress oder depressive Symptome. Aber woran das genau liegt, können wir noch gar nicht sagen. Dazu müssten wir eigentlich noch einmal weiter in die Forschung gehen. Es könnte natürlich, das ist jetzt eine persönliche Erklärung, damit zusammenhängen, dass Männer sich auch in ihrer Rolle als Mann angegriffen fühlen, wenn sie von anderen Männern sexuell belästigt werden.
Moderator:
Welche Angebote hat die BGW, um Betriebe und Beschäftigte bei der Prävention von sexueller Gewalt zu unterstützen?
Dr. Heike Schambortski:
Ja, wir haben das Thema schon viele Jahre als wichtiges Thema erkannt. Da sind wir, glaube ich, auch ein bisschen Vorreiter bei den Berufsgenossenschaften. Wir haben viele Unterstützungsangebote wie Seminare, Beratungen, Veranstaltungen und Broschüren, mit denen wir zum einen auf das Thema aufmerksam machen und zur Enttabuisierung beitragen, aber auch die Verantwortlichen im Betrieb schulen und ihnen Hinweise geben, wie sie mit dem Thema im betrieblichen Kontext umgehen sollen. Wir beteiligen uns an der Kampagne kommmitmensch zur Verbesserung der Präventionskultur und vernetzen uns aktuell mit der Kampagne 'make it work' für einen Arbeitsplatz ohne sexuelle Diskriminierung, Belästigung und Gewalt. Wir sind allerdings nicht nur präventiv unterwegs, sondern auch für die Betroffenen da, wenn etwas passiert ist. Sexuelle Übergriffe können ja auch Arbeitsunfälle sein, und neben den Versicherungsleistungen bei körperlichen Verletzungen kommen wir auch für psychotherapeutische Hilfen auf und bieten unkomplizierte, schnelle, telefonische psychologische Beratungen für die Betroffenen.
Moderator:
Vielen Dank an meine heutigen Gesprächspartnerinnen. Vielen Dank an die Psychotraumatologin bei der BGW, Claudia Vaupel, und danke auch an die Präventionsexpertin und Organisationspsychologin, Dr. Heike Schambortski.
Dr. Heike Schambortski:
Dank für das interessante Gespräch.
Claudia Vaupel:
Vielen Dank für Ihr Interesse.
Moderator:
Wichtiges Thema. Damals, heute, immer. Natürlich sind die Ergebnisse nicht mehr neu, wie wir es im Podcast besprochen haben. Eine aktuelle Studie findet ihr in den Show-Notes dieser Podcast-Folge. Wenn euer Arbeitsplatz kein sicherer Ort für euch ist, dann seid ihr nicht alleine und es gibt Hilfe. Holt euch diese Hilfe, alle Anlaufstellen und relevante Links findet ihr ebenfalls in den Show-Notes dieser Podcast-Folge. Alle Folgen von 'Herzschlag für ein gesundes Berufsleben' findet ihr auf eurer Lieblings-Podcast-Plattform oder auf der Website der BGW: www.bgw-online.de/podcast. Wir freuen uns immer über eine Bewertung und klickt auch gerne auf 'Abo', wenn euch dieser Podcast gefällt, dann verpasst ihr keine Folge mehr. Bis zum nächsten Mal!
Jingle:
Herzschlag! Für ein gesundes Berufsleben, der BGW-Podcast.
Die Interviewgäste
Claudia Vaupel
Dipl.-Psychologin, Verkehrspsychologin (BDP) und Notfallpsychologin und Traumapsychologin - BGW
Dr. Heike Schambortski
Leitende Präventionsdirektorin - BGW
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