Klettern rettet Leben. Die Geschichte von Paraclimber Philipp Hrozek #119 BGW-Podcast "Herzschlag - Für ein gesundes Berufsleben"
Nach einem schweren Autounfall stand für Philipp Hrozek plötzlich alles still. Er musste die grundlegendsten Dinge neu lernen - sprechen, essen, laufen. In dieser Folge erzählt uns Philipp seine Geschichte und verrät uns, wie der Sport und vor allem das Klettern sein Leben gerettet hat.
Außerdem bekommen wir Einblicke in die Welt des Parasports. Philipp ist nämlich Teil der deutschen Paraclimbing-Nationalmannschaft und verfolgt ein großes Ziel: der Beste der Welt zu werden. Wir sprechen über Motivation, mentale Stärke und über eine Sportart, die viel mehr Aufmerksamkeit verdient.
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Hier kommen Sie zum Transkript dieser Folge
Moderator:
Manchmal sind es wenige Sekunden, die ein komplettes Leben verändern können. Es regnet in Strömen. Wir sind jetzt im Auto bei Philipp Hrozek. Er ist gerade auf dem Weg nach Hause, und neben ihm sitzt seine Freundin Carina. In einer Linkskurve gerät das Auto aufgrund von Aquaplaning plötzlich ins Schleudern. Ein entgegenkommender Wagen kann nicht mehr ausweichen und kracht in die Fahrerseite. Äußerlich hatte Philipp nur einen kleinen Kratzer über dem Auge, doch die inneren Verletzungen waren gravierend. Die Folge: knapp eine Woche Koma, mehr als drei Monate Reha, alles noch einmal von Grund auf neu lernen – essen, laufen, reden. Und ohne Sport würde Philipp heute nicht mehr leben. Ich bin Ralf Podszus, und in dieser Folge wird uns Philipp seine Geschichte erzählen und uns verraten, wie das Klettern ihn gerettet hat.
Jingle:
Herzschlag! Für ein gesundes Berufsleben, der BGW-Podcast.
Moderator:
Wer in der Kletterszene unterwegs ist, kennt den Namen Hrozek. Philipp und sein Zwillingsbruder klettern seit ihrem 14. Lebensjahr – und das ziemlich erfolgreich. Auch nach Philipps schwerem Autounfall ist er am Felsen oder an der Kletterwand zu finden. Als Paraclimber tritt der 42-Jährige für die deutsche Nationalmannschaft bei internationalen Wettkämpfen an. Eine beeindruckende Geschichte – ja, und genau deshalb möchte ich euch Philipp heute als inspirierende Branchenpersönlichkeit vorstellen. Grüß dich, Philipp!
Philipp Hrozek:
Hallo Ralf, hi! Freut mich sehr.
Moderator:
Wie bist du zum Klettern gekommen? Welche Rolle spielt dieser Sport überhaupt für dich? Kann man sagen, das macht so 85–90 Prozent deines Lebens aus?
Philipp Hrozek:
Das Klettern war eigentlich von Anfang an ein großer Bestandteil meines Lebens. Zum Klettern kam ich durch einen Ruderkollegen, damals war ich 12 oder 13 Jahre alt. Ein guter Kollege vom Rudern hat meinen Bruder und mich zum ersten Mal zum Felsklettern mitgenommen. Und da war es um mich geschehen, dann war ich infiziert. Ab da ging es los – quasi die Leidenschaft für den Klettersport.
Moderator:
Wie geht es dir heute, und welche Einschränkungen hast du noch? Was fällt dir seit dem Unfall bis heute noch schwer?
Philipp Hrozek:
Also, mir geht es eigentlich recht gut. Ich habe mich im Leben wieder zurechtgefunden – so gut es eben geht. Es gibt noch einige wenige, kleine Einschränkungen, die einfach bleiben werden, ein Leben lang. Dazu gehören unter anderem feinmotorische Schwierigkeiten, zum Beispiel beim Einfädeln eines Fadens durch ein Nadelöhr.
Moderator:
Das kann ich auch nicht.
Philipp Hrozek:
Das ist sehr schwer. Also ich trainiere so etwas immer noch, klar, aber es ist nach wie vor sehr schwierig, und wahrscheinlich wird es auch nicht viel besser werden. Außerdem bin ich nicht mehr so belastbar wie vor dem Unfall – was die Arbeitslast und ähnliche Dinge betrifft, das passt nicht mehr so wie früher. Ich habe vor dem Unfall ganz normal Vollzeit gearbeitet. Jetzt darf ich laut Psychologin nur noch in Teilzeit arbeiten, weil alles andere auf Dauer nicht sinnvoll für mich wäre. Aber das ist für mich machbar und okay.
Moderator:
Kann man sagen, dass die Information von deinem Kopf nicht schnell genug im Rest deines Körpers ankommt?
Philipp Hrozek:
Also, das ist auf physischer Ebene so. Kognitiv bin ich wieder voll und ganz der alte Philipp. Aber die Signale, die mein Kopf an meine Muskulatur sendet, kommen nicht vollständig so an, wie sie eigentlich sollten. Ich habe eine inkomplette Tetraparese – das bedeutet, dass die Signale vom Kopf nicht alle richtig durchkommen, wodurch die Muskulatur durch die Minderversorgung der Nerven teilweise gelähmt ist. Das ist richtig, ja.
Moderator:
Und das ist ja auch, glaube ich, die größte Herausforderung gewesen, neu zu lernen, dass das eben einfach ein bisschen länger dauert. Man kennt das ja, wenn die Verbindung mit dem Internet nicht so gut ist. Es ruckelt ein bisschen oder der Gesprächspartner, die Gesprächspartnerin hört erst viel später, was du sagst, zum Beispiel im Meeting. Da muss man sich darauf einstellen, dass das jetzt ein bisschen anders läuft als direkt und sofort. Das ist wahrscheinlich die größte Hürde gewesen, die du bei deinem eigenen Körper irgendwie überwinden oder lernen musstest: Da gibt es jetzt halt so eine Verzögerung.
Philipp Hrozek:
Das ist immer noch recht schwer. Ich habe eine leichte Dysphonie – also eine Sprachstörung –, weil gewisse Hirnnerven beschädigt sind und nicht mehr richtig versorgt werden können. Ich hatte auch Stimmlähmungen. Und weil die Nerven nicht mehr so leiten, wie sie sollten, kommen eben nicht mehr alle Signale am Zielort an. Muskulär war das ziemlich schwierig für mich. Ich konnte meine Muskulatur nicht richtig ansteuern. Das betraf feinmotorische Dinge, wie zum Beispiel das Schneiden eines Apfels oder die Bewegung der Zahnbürste im Mund; das waren alles Tätigkeiten, die einfach sehr schwer waren und zum Teil immer noch echt herausfordernd sind. Aber ich habe mir Instrumente geschaffen, mit denen ich diese Dinge so gut wie möglich kompensieren kann.
Moderator:
Gerade beim Klettern muss man ja oft blitzschnelle Entscheidungen treffen: Also, schwinge ich mich jetzt nach links oder nach rechts? Halte ich mich so fest – oder anders? Muss mein Fuß schnell dorthin? Das heißt, das Klettern hilft dir dabei, alles wieder besser zu koordinieren, oder?
Philipp Hrozek:
Es ist so, dass das Klettern ziemlich multidimensional ist. Koordination spielt dabei eine sehr wichtige Rolle. Du musst genau wissen, was die Augen sehen sollen, damit der Körper entsprechend reagieren und zum Beispiel den Fuß auf den Tritt setzen kann, den er sieht. Klettern war für mich deshalb schon immer eine Art Therapie. Früher, als ich noch gesund war, habe ich auf einem ziemlich hohen Niveau geklettert, ich war ziemlich stark unterwegs. Und durch meine vielen Jahre an Erfahrung war ich nie völlig von der Umsetzung der Kletterbewegungen entfernt. Ich hatte bereits so viele Bewegungsprogramme, also Bewegungsmuster, gesammelt, die der Körper quasi aus dem Effeff abrufen konnte. Das war alles für mich anfangs unangenehm und ungewohnt, zu wissen, dass der Körper nun auf eine andere Weise funktionieren muss, damit ich sowohl im Klettersport als auch im Alltag zurechtkomme. Aber das hat sich eigentlich recht gut entwickelt.
Moderator:
Der Körper hinkt halt einfach immer ein bisschen hinterher – aber das Klettern hat sich im Kopf eingeprägt. Und das ist gut, wenn man auf solche Muster- und Erfahrungswerte zurückgreifen kann. Du hast selbst gesagt, dass dir das Klettern das Leben gerettet hat. Kannst du das erklären?
Philipp Hrozek:
Also in zwei Punkten: Eigentlich hast du recht mit dem Satz, das Klettern war lebensrettend für mich. Punkt eins ist der, dass ich ein Muskelkorsett am Körper antrainiert hatte durch mein jahrelanges Training, was die Wirbelsäule geschützt hat. Der Aufprall des entgegenkommenden Fahrzeugs war so schwerwiegend, dass die Wirbelsäule bei jedem untrainierten Menschen einfach geplatzt wäre. Das Muskelkorsett, das ich über die Jahre aufgebaut hatte, war lebensrettend. Das ist Punkt eins. Punkt zwei: Ich habe durch meinen Sport und den Klettersport eine Willensstärke entwickelt, die mich im Alltag wieder zu dem Philipp werden ließ, der ich jetzt wieder bin. Im Klettersport musste ich mich immer meinen Schwächen stellen, an Schwächen arbeiten, vorankommen wollen und das Überwinden von Bedingungen und Ängsten projektieren. Das hat mich im Alltag wirklich überleben lassen. Ja, wirklich der Kopf, der Wille voranzukommen, war ein wichtiger Punkt und ist es immer noch. Ich war nie an einem Punkt, wo ich gesagt habe, das passt jetzt für mich so, wie es aktuell ist. Ich wollte immer und will noch immer vorankommen, mit mir, meinem Körper, meiner Physis und meiner Psyche. Mit allem an mir, meinem ganzen Körper.
Moderator:
Interessant, auf wie vielen Ebenen dir der Sport geholfen hat. Nun war direkt nach dem Unfall an Sport überhaupt nicht zu denken. Du hast ja eben erwähnt, dass auch jetzt das Zähneputzen zum Beispiel immer noch eine Herausforderung ist. Du musstest erst einmal ganz normale Dinge neu lernen, wie sprechen, essen und so weiter. Wer oder was hat dir dabei geholfen, weil der Sport ja erst einmal monatelang nicht dabei gewesen ist?
Philipp Hrozek:
Ganz ehrlich gesagt, ich war ja recht lange auf Reha, in der Klinik in Bad Aibling, in der frühen Reha quasi. Die haben sehr viel für mich gemacht. Die Therapeuten waren alle immer top für mich da und rund um die Uhr, sie haben sehr viel bewirkt. Neben den therapeutischen Unterstützungskomponenten war auf jeden Fall meine Familie der ausschlaggebende Punkt dafür, dass ich noch da bin, so wie ich jetzt bin. Mein Zwillingsbruder, meine Freundin, mein Vater, mein Bruder, mein älterer Bruder – alle haben mich bewusst gefördert, so gut es ging, und haben auch gewusst, dass sie mir Aufgaben stellen dürfen, mich wirklich vor Herausforderungen stellen müssen, damit ich vorankomme, weil das einfach eine so intrinsische Motivation von mir war. Wenn ich von außen Motivation erfahren habe, dann habe ich mich bewegt, dann habe ich etwas gemacht und wollte vorankommen. Das Schlucken und das Sprechen und vermutlich die Physis, das sind alles Dinge, die einfach komplett weg waren. Mein Zwillingsbruder hat mir beim Essen immer die Gabel in die richtige Hand gegeben, weil mein rechter Arm ein halbes Jahr lang gelähmt war. Wir wollten bewusst Reize setzen, damit ich den rechten Arm so gut es geht ansteuere und sage: „Hey, rechter Arm, beweg die Gabel zum Mund.“ Das sind wirklich ganz banale Geschichten, die einfach funktioniert haben, und dafür bin ich sehr, sehr dankbar.
Moderator:
Knapp drei Jahre nach deinem Unfall bist du Vater geworden. Und der kleine Emil hat euer Leben dann wahrscheinlich auch noch mal ordentlich auf den Kopf gestellt.
Philipp Hrozek:
Mein Junge, der ist 2019 im August geboren worden, und es war eine Zeit, in der ich noch gar nicht fähig war, den Alltag so zu meistern, wie ich es vor dem Unfall gemacht habe.
Moderator:
Oder ihn zu halten auch.
Philipp Hrozek:
Richtig. Also ich bin da wirklich an meine Grenzen gestoßen und dachte immer, ich muss als Vater irgendwie perfekt sein, muss gesund sein, muss funktionieren. Aber in dem Alter von dem Kind bist du als Papa immer perfekt, egal ob du jetzt gehen kannst oder eben nur kriechen kannst. Ich konnte in dem Jahr seiner Geburt nur schlecht Treppen laufen, weil das motorische auf einer Treppe komplett weg war. Dann habe ich mir meine Instrumente daheim zusammengestellt, wie es für mich Sinn gemacht hat. Und es war ganz klar, von Anfang an: Ein Kind macht das Leben erst mal wild, ein bisschen sehr, und da war alles erst mal durcheinander geworfen. Aber ich habe das eigentlich gut hinbekommen. Ich habe durch Unterstützung von meiner Familie und meiner Freundin alles ganz gut gewuppt. Und Emil war eh immer schon ein Einsteigermodell als Kind, er war nie so kompliziert wie viele andere Kinder vielleicht und hat es mir dann oftmals auch leicht gemacht, ich selbst sein zu können, auch wenn ich beeinträchtigt war, schon zum Zeitpunkt seiner Geburt. Dann war das für mich alles machbar. Es war alles okay.
Moderator:
Ist wahrscheinlich auch der nächste Push dann noch mal gewesen für dich, natürlich, ne?
Philipp Hrozek:
Also, das war für mich dann so klar. Ich meine, wenn man verunfallt und dann im Koma liegt und aufwacht und nicht weiß, wo links und rechts ist, dann fragt man sich schon, wo der Sinn des Lebens eigentlich steht. Und ich habe dann erstmalig durch meinen Sohn erfahren, dass das Leben für sich der Sinn des Lebens ist. Nachwuchs zu zeugen und einen Menschen zu sehen, wie er sich entwickelt, das ist einfach ganz klar für mich der Sinn des Lebens geworden. Und das Leben habe ich so noch mehr zu schätzen gewusst.
Moderator:
Wann hast du wieder mit dem Sport angefangen? Also, hattest du von Anfang an das Ziel, wieder klettern zu gehen, auch als es überhaupt noch gar nicht denkbar war? Quasi klettern als Therapie, als den nächsten Schritt oder das, was du auf jeden Fall erreichen möchtest?
Philipp Hrozek:
Also, Tatsache ist wirklich, dass ich im Krankenhaus in Bad Aibling schon wieder klettern wollte. Das war wirklich der Anfang. Ich habe eigentlich niemals daran gedacht, mit dem Klettersport aufzuhören. Die Option, aufhören zu müssen, gab es nie. Schon im Krankenhaus, als ich den rechten Arm noch nicht bewegen konnte, teilweise gelähmt, habe ich den Arm schon auf den Türrahmen gelegt, die Hand, um irgendwie dem Klettern näher zu sein und einen Griff festhalten zu können. Das Klettern war für mich immer schon ein Thema und war nie weg. Für mich war das Klettern und überhaupt der Sport, sich draußen in der Natur zu bewegen, von dem Zeitpunkt an präsent, wo ich wieder denken konnte. Ich hatte einen Hirnschaden und habe anfangs nur als körperliches Dasein funktioniert. Ich konnte erst recht spät wieder anfangen zu denken, zu hinterfragen, wo bin ich, was mache ich. Und als ich wieder denken konnte, wusste ich ganz genau: Ich will zurückkommen zum Klettern in der Natur, ich möchte mit der Familie Urlaube machen, mich draußen bewegen. Das war von Anfang an, als ich wieder denken konnte, sofort wieder präsent.
Moderator:
Beim Hirnschaden träumt man da eigentlich auch anders? Macht man sich auf einmal andere Gedanken? Hat man noch im Kopf, wie es früher war und wie es jetzt ist? Gibt es da eine Veränderung in deinem Inneren, die du auch wirklich deutlich bemerkst und spürst und noch einen Vergleich zu früher hast?
Philipp Hrozek:
Also tatsächlich ist es so, dass das Schlafen für mich, weil ich eben ein Kopfmensch bin und viel nachdenke, besser geworden ist. Und das Denken war ja unmöglich, deswegen habe ich zu den Zeiten, als der Kopf noch nicht fähig war zu denken, besser geschlafen. Tatsächlich habe ich sogar durchgeschlafen, was ich sonst nie mache. Das war wunderbar für mich, ich habe mich gut erholt. Mein Denkansatz ist schon ein bisschen anders geworden. Ich hinterfrage jetzt vieles mehr, aber auch vieles weniger. Dinge, die einfach unwichtig sind im Leben, frage ich mich überhaupt nicht mehr, was da sein könnte oder was da anders sein müsste, damit es besser sein könnte. Ich habe viele Sachen vor dem Unfall anders hinterfragt. Jetzt bin ich bewusster geworden. Ich weiß jetzt genau, dass jeder Schritt, den ich im Leben machen kann, einfach wertvoll ist, sehr wertvoll, und ich bin für alles sehr dankbar, was ich vorher gar nicht sein konnte. Denn ich konnte ja gar nicht wissen, was man als selbstverständlich ansieht und was man wirklich wertschätzt. Die Sonne scheint, wenn sie scheint. Es ist selbstverständlich, dass du spazieren gehen kannst in der Sonne. Aber dafür musst du dankbar sein, sobald du gehen kannst und Dinge im Leben wahrnehmen kannst. Diese Dankbarkeit habe ich entwickelt, und sie ist wichtig für mich.
Moderator:
Du kannst dich ja nicht mehr so gut konzentrieren, aber dafür konzentrierst du dich eben auf das Wesentliche und nicht auf die anderen Dinge, die einen vielleicht unnötig belasten und den Kopf sogar zumüllen. Das kannst du einfach abhaken.
Philipp Hrozek:
Richtig, also wirklich Dinge, die einfach so sind, wie sie sind und belastend sind oder wirklich nicht aktiv von mir veränderbar sind, die muss ich hinnehmen, wie sie sind. Also einfach annehmen, akzeptieren. Mehr geht nicht bei vielen Dingen, die belastend sind für den Kopf und für den Körper.
Moderator:
Sportler und Sportlerinnen, die sind ehrgeizig, ja. Sie gehen auch gern mal über ihre eigenen Grenzen hinaus, sie sind sehr zielstrebig. Inwieweit hat dir genau das geholfen und hilft dir auch heute noch?
Philipp Hrozek:
Ich war immer schon jemand, der im Klettersport seine Ziele hoch gesteckt hatte.
Moderator:
Im wahrsten Sinne des Wortes hochgesteckt, weil das ist eben auch alles hoch.
Philipp Hrozek:
Das ist richtig. Ja, also du musst überall im Leben Sachen erarbeiten. Im Sport musst du Leistungen erarbeiten, musst trainieren, musst dich auf Sachen einlassen, musst an Schwächen arbeiten. Und diesen Willen, den habe ich 1:1 auf das Leben umlegen können. Das heißt, wenn ich gemerkt habe, das Gehen fällt mir schwer, das Zähneputzen ist schwer, zum Beispiel auch das Schneiden eines Apfels fällt mir schwer, dann habe ich genau diese Dinge trainiert. Ich habe meinen ganzen Alltag zu einem kleinen Therapiezentrum umgebaut, wo ich meine ganzen kleinen Baustellen hatte, wo ich meine Therapieeinheiten absolviert habe. Diesen Willen habe ich dem Kleinen zu verdanken, den habe ich auf diese anderen Welten im Alltag umgelegt und 1:1 umsetzen können. Ja, also habe ich wirklich auf einem Wackelkissen Zähne geputzt, um wieder stabil stehen zu lernen. Und solche Dinge halt. Ja, also alles, was irgendwie therapeutisch Sinn gemacht hat für mich, habe ich gemacht.
Moderator:
Das auf das Leben zu sezieren und anzuwenden, finde ich, ist eine sehr große Leistung, also auch über den Sport hinaus. Das ist eine dauerhafte Leistung. Du kletterst für die deutsche Paranationalmannschaft. Was macht dich für das Paraclimbing so besonders?
Philipp Hrozek:
Das Paraclimbing ist Klettern wie das normale Climbing auch. Klar, Klettern heißt immer unten einsteigen und im besten Fall ankommen. Aber ich habe gemerkt, dass das Paraclimbing einfach von Menschen gefüllt ist. Die ganze Szene, die alle irgendwie andere Schicksale zu tragen haben, besteht aus wirklich starken Persönlichkeiten, und sie teilen alle dieses Schicksal miteinander. Es ist ein Mitteilungsort gewesen für mich, wo ich mich einfach meinen Teamkollegen gegenüber über alles auskotzen kann, wenn ich das so sagen darf. Also wirklich, es ist einfach menschlich, absolut auf einer Ebene, und man ist auf Augenhöhe mit anderen Athleten. Obwohl man Konkurrenten sein kann oder eben auch ist, ist es vollkommen hinfällig, wenn man über sich, sein Leben, seinen Alltag, sein Klettern im familiären Bereich über Sachen spricht, die das Leben ausmachen. Also wirklich, es ist ein Mitteilungsort für mich geworden, das Paraclimbing.
Moderator:
Ja, alles Konkurrenten, trotzdem eine eingeschworene Gemeinschaft, und die sind alle auch genauso fokussiert wie du und haben ihre Erfahrungen, also ein echter Wettkampf.
Philipp Hrozek:
Ich meine, klar, es ist auch Leistungssport geworden. Es ist ein Sport geworden, bei dem die Menschen, die wirklich am Podest oben stehen, ihren Ehrgeiz mitbringen müssen, sonst schaffen sie es nicht auf Platz 1, 2 oder 3. Das ist Tatsache. Man muss ambitioniert, engagiert und motiviert sein, um etwas zu erreichen. Aber das Drumherum, das sich Treffen, Wiedersehen, auf Wettkämpfe fliegen dürfen, das ist wirklich ein Privileg, das im normalen Sport gar nicht so gewertschätzt wird wie im Paraclimbing zum Beispiel.
Moderator:
Und das setzt dann ja auch wieder Endorphine frei, die einem mit dem Glückszustand weiterhelfen können.
Philipp Hrozek:
Absolut. Also, ich habe jetzt beim Klettersport allgemein immer vor jeder Tour, ob daheim, draußen am Fels oder beim Wettkampf, so ein leichtes Kribbeln im Bauch. Das habe ich immer, seitdem ich angefangen habe zu klettern. Und wenn das mal weg sein sollte, habe ich für mich gesagt, dann höre ich auf zu klettern, weil das ist der Grund für mich, wieso ich mich dieser Herausforderung stellen möchte, eine Wand zu bezwingen. Das ist einfach eine Endorphinausschüttung, auf jeden Fall.
Moderator:
Es kribbelt noch ordentlich bei dir und jetzt kommen wir wieder zum Ehrgeiz zurück. Dein Ziel ist es, einmal der Beste der Welt zu sein. Bei der WM 2023 in Bern bist du auf dem vierten Platz gelandet, ein Jahr später gab es dann EM-Bronze. Ja, was kommt jetzt als Nächstes, Philipp? Du hangelst dich ja langsam an die Spitze ran.
Philipp Hrozek:
Ja, das ist schon richtig so. Ich möchte auf jeden Fall einmal der Weltbeste sein, egal wer, was oder wie. Das würde ich mir wünschen, auf jeden Fall. Es ist im Klettersport so, dass es oftmals mit Glück zu tun hat. Da sind Routenbauer engagiert, die Routen für uns Kletterer bauen, und wenn du Glück hast, dann werden die Routen so gebaut, dass sie dir entsprechen. Wenn du Pech hast, dann kann es in die andere Richtung gehen, dass dir die Route gar nicht entspricht und liegt. Aber ja, in diesem Jahr ist im September die WM in Südkorea. Und da hoffe ich, dass ich hinfliegen darf. Und wenn ich dort antreten darf, dann bin ich gewillt, mein bestes Potenzial abzurufen, das ich halt habe.
Moderator:
Ja, deine große Zeit kann kommen. Denn Paraclimbing wird 2028 in Los Angeles erstmals Teil der Paralympischen Sommerspiele sein. Werden wir dich da auch ganz oben sehen?
Philipp Hrozek:
Das ist eine gute Frage. Es ist so, im Paraclimbing gibt es Sportklassen. Sportklassen im olympischen Bereich müssen nicht 1:1 denen entsprechen, die es auf Verbandsebene gibt, vom internationalen Weltkletterverband. Das heißt, die Sportklassen, die olympisch sein werden in Los Angeles in dreieinhalb Jahren, können komplett anders sein als die Sportklassen, die man aktuell auf Weltcups etc. findet. Welche Sportklassen olympisch werden, kann man erst Ende dieses Jahres sagen. Weil Ende 2025 kommt der Vorschlag des Olympischen Komitees, welche Sportklassen olympisch werden. Und dem müssen wir uns dann fügen. Also, wenn ich Pech habe, dann ist meine Sportklasse, mittelschwer beeinträchtigt, und das kann in beide Richtungen gehen. Wenn meine Klasse olympisch werden sollte, dann bin ich gewillt, alles dafür zu tun, dass ich hier irgendwie starten kann. Ob das so sein wird, weiß ich nicht genau. Fakt ist aber, dass meine Sportklasse vielleicht nicht olympisch sein wird und dann kann ich da nicht starten.
Moderator:
Meine Daumen sind auf jeden Fall gedrückt und dass es dann bei dir ordentlich kribbelt. Du wünschst dir auch, dass mehr über Parasport berichtet wird, zum Beispiel im Fernsehen. Ich habe das in Berlin bei den Special Olympics damals erlebt, da gab es auf jeden Fall für mich zum ersten Mal ein größeres Echo, ein Schlaglicht darauf, und auch der Fernsehsender Sky hat dort mehrere Stunden live davon berichtet. Es geht langsam in die richtige Richtung, aber es gibt auch noch viel mehr Sportarten in diesem Bereich, die man zeigen kann, und das würdest du dir auch wünschen, nicht wahr? Übrigens, über die Hälfte der Deutschen insgesamt würde sich mehr wünschen, Parasport im Fernsehen zu sehen. Das ist eine repräsentative Umfrage, die die Aktion Mensch in Auftrag gegeben hat.
Philipp Hrozek:
Das Klettern, das Paraclimbing und die Medialität sind ziemlich gewachsen, besonders in den letzten Jahren immer mehr. Aber du hast recht, Ralf, genauer gesagt: Die Übertragung von Parasportarten ist meines Erachtens noch zu wenig. Es werden viele Fußballspiele gezeigt und Fußball, Fußball und andere Sportarten, immer nur Fußball überall. Aber es ist so, dass die Parasportler allgemein, ob Kletterer, Triathleten oder Leichtathleten, alle einiges leisten. Sie haben es verdient, dass die Parasportarten mehr übertragen werden. Zum Beispiel hat Warner Brother Pictures für Los Angeles in dreieinhalb Jahren einen Vertrag mit dem OPC abgeschlossen, und dann wird das Klettern bei den Paralympics in Los Angeles übertragen. Ich denke, dass da einfach noch viel passieren kann und muss, damit die Parasportler zukünftig noch mehr gezeigt werden, denn was da geleistet wird, ist wirklich immens, ist Wahnsinn.
Moderator:
Sport kann Leben retten. Du bist der beste Beweis dafür, und gerade das Klettern ist auch eine Sportart, die für alle gemacht ist. Das habe ich selbst erleben dürfen. Ich habe ja eben schon mal die Special Olympics in Berlin erwähnt. Damals war ich am inklusiven Kletterturm der BGW am Start und bin da auch selbst ein-, zwei-, dreimal hochgeklettert, auch mal mit einer Einschränkung, zum Beispiel einarmig, um das eben auch mal zu erleben, was das für eine doppelte Herausforderung ist. Oder ich würde sogar fast sagen, eine dreifache. Egal ob blind oder querschnittsgelähmt, alle sind sie den Turm hochgeklettert, manchmal mit ein bisschen Unterstützung, aber geschafft haben das dann alle. Warum ist gerade Klettern aus deiner Sicht so eine gute inklusive Sportart? Ich habe da immer sehr viel Freude und mag es sehr gerne. Richtig gelebte Freude habe ich erlebt, wenn alle oben angekommen waren.
Philipp Hrozek:
Das ist richtig, das Klettern ist eigentlich Inklusion hoch 10, denn Klettern ist eine Sportart, bei der du bei dir sein musst, wo sich jeder mit jedem auf einer Ebene messen kann, die einfach sehr speziell ist. Ein Mensch, der einen Dreier klettert, also Schwierigkeitsgrad 3, kann genau das gleiche erleben wie ein Mensch, der den 11. oder 12. Grad klettert. Beide machen im Wesentlichen das Gleiche, nämlich unten einsteigen und oben ankommen, ob 3, 4, 5, 9 oder 11 – das ist prinzipiell gesehen eigentlich egal. Klettern ist für jedermann eine Wahnsinns-Sportart, wenn man sich zu den eigenen Grenzen hinbegeben kann. Man muss sich zwangsläufig mit sich selbst beschäftigen. Man muss sich selbst vertrauen und sich als Mensch intensiv kennen, besonders wie man reagiert, wenn man an Stellen an der Wand kommt, die einem nicht lösbar erscheinen. Dann muss man sich selbst vertrauen und weitermachen, denn man will ja oben ankommen. Deswegen ist Klettern eine absolut sinnvolle inklusive Sportart.
Moderator:
Jetzt habe ich ein paar Sätze für dich, die du bitte ganz spontan vervollständigst. Einfach antworten, ohne groß darüber nachzudenken. Bist du bereit?
Philipp Hrozek:
Ich bin bereit.
Moderator:
Ich habe mir eine eigene Kletterwand ans Haus gebaut, weil …
Philipp Hrozek:
... beste Entscheidung meines Lebens.
Moderator:
Mein Vorbild ist …
Philipp Hrozek:
… ich selbst.
Moderator:
Was mir in schwierigen Momenten am meisten hilft, ist …
Philipp Hrozek:
… Essen.
Moderator:
Was am liebsten?
Philipp Hrozek:
Alles. Ich bin ein Allesesser, am liebsten eigentlich Gebäck und Süßkram. Also ich habe einen süßen Zahn. Zu süß für manche, aber ich liebe es, süß zu essen.
Moderator:
Da musst du ja gleich noch mehr Sport machen, das motiviert dich dann gleich noch mal.
Philipp Hrozek:
Richtig.
Moderator:
Wenn ich mein Leben betrachte, dann …
Philipp Hrozek:
… würde ich nichts ändern wollen.
Moderator:
Ein Erlebnis beim Paraclimbing, das mir immer wieder in den Kopf kommt, ist …
Philipp Hrozek:
… die Goldmedaille in Villars im Jahr 2023.
Moderator:
Vielen Dank, Philipp, dass du deine Geschichte mit uns geteilt hast und uns in die Welt des Kletterns und des Paraclimbings mitgenommen hast. Eine Sportart, die dein Leben gerettet hat.
Philipp Hrozek:
Absolut. Ich bedanke mich sehr herzlich bei dir. Dankeschön für die gute Zeit und ich wünsche da draußen allen alles Gute. Geht klettern, es ist auf jeden Fall bereichernd.
Moderator:
In den Show-Notes dieser Podcast-Folge findet ihr eine Verlinkung zum Instagram-Profil von Philipp und dem deutschen Paraclimbing-Team. Die BGW setzt sich übrigens mit vielen Projekten und Initiativen für Inklusion am Arbeitsplatz ein. Es gibt zum Beispiel gemeinsame Sportangebote wie inklusives Klettern oder auch Projekte für mehr Barrierefreiheit in der Mobilität. Alle Infos dazu und auch zum BGW-Forum "Sicher und gesund in der Behindertenhilfe" findet ihr auf der BGW-Website und passende Folgen nochmal zum Anhören auf www.bgw-online.de/podcast. Dort findet ihr übrigens auch alle anderen Herzschlag-Folgen mit inspirierenden Branchenpersönlichkeiten, zum Beispiel Johnny Grasser, der mit Tetraspastik den Zuckerhut in Rio bezwungen hat. Ja, oder auch das Gespräch mit Fachgesundheits- und Krankenpfleger Dominik Stark, der sich für Veränderung in der Pflege stark macht. Ja, hört unbedingt mal rein, wenn ihr es noch nicht getan habt. Der BGW-Podcast läuft auf allen Podcast-Plattformen. Abonniert einfach mal Herzschlag, dann verpasst ihr keine Folge. Lasst doch gerne eine Bewertung da und dann hören wir uns wieder in zwei Wochen. Bis dahin.
Jingle:
Herzschlag! Für ein gesundes Berufsleben, der BGW-Podcast.
Interviewgast
Philipp Hrozek
Paraclimber
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